Die Berliner Indie-Pop Band Von Wegen Lisbeth hat gerade erst ihre fulminante Supercolor Tour hinter sich gebracht und dabei bewiesen, dass sie auf der Bühne immer noch zu den energiegeladensten Acts des Landes gehört. Mit Strandbad Eldena schicken Von Wegen Lisbeth nun ihr viertes Studioalbums in die Welt. Das kreative Gerüst hinter den brandneuen Tracks bilden Sänger und Gitarrist Matthias Rohde, Gitarrist Dominik Zschäbitz, Bassist Julian Hölting, Schlagzeuger Julian Zschäbitz und Robert Tischer an den Synthesizern. Einige der 13 Songs mit Retro-Charme hat die Band bereits voller Zuspruch live erprobt. Matthias Rohde und Julian Hölting eröffneten mir im Interview spannende Sichtweisen auf das neue Album und erlaubten mir einen Blick hinter die Kulissen ihres Bandlebens. Das Interview wurde transkribiert und sprachlich angepasst.
Das Album Strandbad Eldena macht den Anschein einer Sinnsuche vor dem Hintergrund der krisenbehafteten Weltlage. Steckt eine spezifische Botschaft oder Intention hinter dem Album?
Matze: Das ist eine sehr passende Zusammenfassung der Stimmung des Albums. Strandbad Eldena ist tatsächlich ohne konkrete Absicht entstanden, genauso wie all unsere Songs und Alben. Wir machen keine Konzeptalben. Ich schreibe unsere Texte, und es sind einerseits viele sehr persönliche Popsongs, aber einiges habe ich auch zusammengedichtet. Die meisten Songs sind Liebeslieder, bei denen der Hörer spürt, worum es geht oder was uns beschäftigt hat, als die Songs geschrieben wurden.
Julian: Einige der Entwürfe für das aktuelle Album sind bereits vor drei oder vier Jahren entstanden. Das war am Ende der Corona-Pandemie. Wir brauchen immer relativ lange, um ein Album fertigzustellen, und es ergibt sich dadurch meistens ein Überblick darüber, wie es uns die letzten drei Jahre ergangen ist.
Was gibt euch Halt in dieser Zeit der Unsicherheit?
Matze: Das ist aber eine sehr ernste Frage. Was mir Halt gibt, sind Freundschaften, Familie und die kleinen, alltäglichen Dinge im Leben.
Julian: Ich stimme dir zu. Freunde und Familie sind eine gute Stütze, aber das klingt jetzt wie ein Freundschaftsbucheintrag.
Gibt es konkrete Beispiele für persönliche Erfahrungen, die sich hinter den Lyrics des neuen Albums verbergen?
Matze: In jedem Song stecken irgendwelche persönlichen Erlebnisse, aber manchmal ist es einfach nur irgendein diffuses Grundgefühl oder eine Situation, die dann in einem Satz gelandet ist, und daraus hat sich dann der Rest des Textes entsponnen. Im Song Strandbad Eldena habe ich ein solches Gefühl aufgegriffen, obwohl ich noch nie an diesem konkreten Ort war.
Im Song Widersprüche findet man die Zeile: „Im Spreewald gibt es kein’ Platz mehr, den brauchen wir für die Elche.“ Die Schlagzeile hatte ich genauso gelesen. Ich habe sie übernommen, weil es vor dem genannten Hintergrund so absurd wirkt, dass man nicht genug Platz hat, um andere Menschen aufzunehmen.
In welchen der neuen Songs habt ihr am meisten Herzblut gesteckt?
Julian: Ich würde keinen Song besonders hervorheben. Das Album ist bereits die kondensierte Variante von Matzes 40 bis 50 anfänglichen Skizzen. In keinem der neuen 13 Songs steckt weniger Aufwand oder Herzblut.
Matze: Es gibt für den Moment schon Songs, die einem mehr bedeuten oder auf die man stolzer ist als auf andere, aber das wechselt gefühlt alle drei Wochen.
Gibt es zu einem der neuen Songs eine witzige Anekdote?
Julian: Ich würde sagen, eine solche Anekdote gibt es zu Help Me Out. Wir haben wahrscheinlich 50 verschiedene Synthesizer-Sounds angehört, und am Ende sind wir bei der ersten Version gelandet, die Matze für den Song auf der Skizze hatte. Ich glaube, es waren die am sinnlosesten investierten fünf Stunden unseres Lebens.
Was ist eure Lieblingstextzeile auf Strandbad Eldena?
Matze: Das wechselt bei mir auf jeden Fall auch immer wieder. Lange war meine Lieblingszeile: „Wenn der Papst stirbt, dann wählt man halt ‘n andern“ aus dem Song Pluto. Man kann sie als Sprichwort dafür sehen, dass alles immer weitergeht.
Entsteht in der Regel zuerst die Melodie oder der Text?
Matze: Leider ist die Melodie oft zuerst da. Das ist ein bisschen doof, weil man dann probieren muss, auf die fertige Melodie einen Text zu pressen, was zum Beispiel wegen der Silbenanzahl sehr oft nicht funktioniert. Wir hatten schon sehr viele Skizzen mit stabilen Melodien, aus denen nichts geworden ist, weil wir keinen passenden Text fanden. Es ist immer leichter, wenn zuerst der Text da ist oder zumindest ein Satz, aber das passiert mir sehr selten. Im Idealfall passiert beides gleichzeitig. Das kommt bei mir aber noch seltener vor.
Welche Idee steckt hinter eurem Albumcover?
Julian: Um das Albumcover kümmert sich unser Gitarrist Doz. Wir stellen aber immer ein paar Bedingungen. Als er vorgeschlagen hat, wir sollten auf dem Cover zu sehen sein, waren wir uns einig, auf keinen Fall wie eine Boyband abgebildet werden zu wollen. Seine Idee war es also, dass wir nur schemenhaft aus der Froschperspektive von unten zu sehen sind. Die Musikvideos haben die Gestaltung des Plattencovers inspiriert. Es lassen sich Parallelen entdecken, wie zum Beispiel die Plakatwand im Song Mars oder auch der Einsatz von Perspektiven.
Ich habe euch vor circa zwei Monaten das letzte Mal live auf einer Bühne erlebt. Was hat es denn mit der riesigen Spiegelkugel auf sich?
Julian: Die Bühnenbilder mache ich zusammen mit dem anderen Julian. Auf der Bühne haben wir sehr viele Instrumente, weil wir alles live spielen wollen. Die Spiegelkugel ist prozesshaft entstanden. Unser Ziel war es, dem Publikum zu zeigen, was auf der Bühne alles passiert, denn die Perspektive der Zuschauer ist normalerweise immer relativ einseitig, und sie können nicht wirklich sehen, wer was genau macht. Erst wollten wir einfach einen Spiegel über uns anbringen, damit man uns von oben sehen kann, aber das hat dann technisch nicht funktioniert, und es war uns auch ein bisschen zu platt. Folglich kamen wir auf diese Spiegelkugel, in der das Bühnengeschehen verzerrt zu sehen ist.
Matze: Eine Neuerung auf der Bühne ist auch, dass wir zueinander eingedreht und enger aneinander stehen.
Julian: Dieses Jahr haben wir eher wenige, aber dafür größere Festivals gespielt. Riesenbühnen sind schon immer sehr, sehr aufregend, und man verliert sich da irgendwie auch als Band. Wir proben immer noch in einem sehr kleinen Raum, und plötzlich steht man auf einer riesigen Bühne und ist meterweit voneinander entfernt. Das verunsichert einen immer ein bisschen. Deswegen stellen wir uns auf der Bühne jetzt einfach so auf, wie wir es in unserem Proberaum tun.
Bevorzugt ihr dann eher eigene Tourneen anstelle von Festivals?
Julian: Ich denke, alles hat sein Für und Wider. Tatsächlich mag ich kleinere Festivals lieber. Das liegt aber eher daran, dass ab einer gewissen Größe den Sponsoren zu viel Raum geschenkt wird, da die Bühnen zum Beispiel nach ihnen benannt sind. Mir ist bewusst, dass große Festivals ohne Sponsoren nicht funktionieren, aber es ist cooler, auf Festivals zu spielen, hinter denen eine Gruppe von Menschen steckt, die das Ganze einfach aus einer Leidenschaft heraus machen. Bei riesigen Festivals ist dieser Aspekt leider oft verloren gegangen, und deswegen spiele ich nicht so gerne auf ihnen.
Matze: Ich bevorzuge auch auf Tour die kleineren Konzerte, zum Beispiel Bielefeld vor 300 Leuten, einfach weil ich dort nicht so aufgeregt bin. Je größer der Laden, desto größer ist auch immer die Anspannung.
Was bringt euch nach einer Tour oder nach stundenlangen Studioaufnahmen wieder ins Gleichgewicht?
Julian: Um das Gleichgewicht nach einer Tour wiederherzustellen, sehen wir uns im Anschluss drei Wochen oder länger nicht. Auf Tour verbringen wir eine sehr, sehr intensive Zeit zusammen und schlafen in einem Bus zu sechzehnt oder siebzehnt. Man hat kaum Privatsphäre, daher braucht man danach ein bisschen Zeit mit anderen Menschen. Das bringt einen ins soziale Gleichgewicht.
Matze: Ich bin auch großer Fan von Spaziergängen geworden, obwohl es mir während Corona noch total auf die Nerven ging, dass jeder permanent spazieren gehen wollte.
Wie lasst ihr den Abend nach Konzerten auf einer Tour ausklingen? Gibt es häufig Aftershow-Partys?
Julian: Ich glaube, wir sind nach unseren Shows die langweiligste Band, da wir eher ruhig geworden sind. Die Supercolor Crew bestand teilweise aus neuen Leuten, aber viele kennen wir seit sehr vielen Jahren. Ich genieße es mittlerweile, ein paar Abende nur mit der Crew zusammenzusitzen, noch was zu trinken oder mich zu unterhalten, vor allem da nicht alle wie wir aus Berlin kommen. Unsere Crew steht uns sehr nah. In Berlin hatten wir eine Aftershow-Party, aber eher nur für Freunde und Familie. Wir mussten auf der aktuellen Tour auch ein bisschen haushalten mit unserer Energie, weil wir 24 oder 25 Konzerte in sechs Wochen gespielt haben. Da kann man sich nicht fünf Abende hintereinander die Hucke vollsaufen. Ständige Exzesse schaffen Bands nur, wenn sie andere Drogen nehmen.
Gab es auf der Supercolor Tour irgendeine lustige Geschichte?
Julian: Einer unserer Gitarrentechniker kommt aus Würzburg und legt da auch ab und zu auf. Nach unserem Konzert in der Würzburger Posthalle waren wir mit ihm in seinem Lieblingsclub, wo eine echt coole 80s-Party war. Keiner dort kannte uns, aber alle kannten ihn, und als wir am Eingang durchgeschleust wurden, habe ich mich gefühlt, als wäre ich mit einem gottverdammten Star unterwegs. Es war auf jeden Fall lustig und hat viel Spaß gemacht.
Wo verbringt ihr am liebsten den Sommer? Im Strandbad?
Julian: Am Meer und in der Sonne möchte ich im Sommer sein.
Matze: Strandbad passt auch auf jeden Fall.
Julian: Ich war mal im Strandbad am Wannsee.
Was ist euer ultimatives Karriereziel? Wachsfiguren von euch im Madame Tussauds?
Julian: Nein. Ziel ist es, mit der Band weitermachen zu können. Musik zu machen und damit Geld zu verdienen ist ein Privileg. Wenn man Mitte, Ende 30 ist, stellt man sich natürlich schon die Frage, wie lange man noch von Popmusik leben kann. Je länger man davon leben kann, desto besser, denn unser Beruf ist großartig.
Matze: Wichtig ist auch, dass wir weiter Musik machen können, ohne uns zu verbiegen. Oberstes Ziel ist eigentlich, als Band in Würde zu altern, was gar nicht so leicht ist, glaube ich.
Wie würdet ihr ein Buch über Von Wegen Lisbeth aufbauen?
Matze: Ich würde so ein Buch machen, wo man wie früher bei Kriminalfällen immer selber entscheiden kann, wie es weitergeht. Unterschreibst du hier den Sony-Vertrag, lies weiter auf Seite 70.
Julian: Vielleicht wäre das Buch gar nicht komplett autobiografisch, sondern eher hypothetisch, wie es auch hätte werden können. In vielen Situationen hätte man sich besser entscheiden können oder auch schlechter. Das weiß man aber immer erst im Nachhinein.
Inwiefern hat sich euer Leben seit eurem Durchbruch verändert?
Julian und Matze: Wir machen schon sehr lange zusammen Musik, aber es gab für uns nie einen bestimmten Zeitpunkt, an dem wir gemerkt hätten, jetzt haben wir es geschafft.
Julian: Sobald man von der Musik lebt, was bei uns irgendwann nach der Veröffentlichung von Grande war, verändert sich natürlich auch das Verhältnis zueinander, denn man wird, so schlimm das klingt, ja auch zu Arbeitskollegen und Geschäftspartnern. Um diese Veränderung wahrzunehmen, haben wir sehr lange gebraucht. Wir sind nicht mehr nur noch fünf Freunde, sondern auch vieles mehr.
Matze: Wir sind in das Musikbusiness aus unserem Hobby reingeschlittert und irgendwann hat es dann funktioniert. Seit ich ohne komisches Gefühl oder Scham sagen kann, ich bin Musiker, hat sich etwas getan. Das hat aber lange gedauert.
Was ist euer musikalisches Alleinstellungsmerkmal, wenn ihr euch mit anderen bekannten deutschen Indiebands vergleicht?
Matze: Wir hören kaum andere deutschsprachige aktuelle Musik. Vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass wir nicht probieren, irgendwas nachzumachen oder nicht darauf schauen, was gerade gehypt wird, sondern dass wir wie immer einfach die Mucke machen, die uns gefällt.
Welche Band könnt ihr empfehlen?
Julian: Kapa Tult kennen viele zwar schon, aber sie könnten noch viel bekannter sein, weil sie eine sehr gute Band mit tollen Texten sind.
Werden während eines Interviews manchmal unangenehme Fragen gestellt?
Julian: Ich empfinde Fragen nicht per se als unangenehm. Manchmal wundere ich mich, dass sich mein Gesprächspartner nicht mit unserem Album auseinandergesetzt hat. Statt über unsere Musik zu sprechen, die der eigentliche Anlass für das Interview sein sollte, werden wir nach irrelevanten Details, wie unserem Lieblingsessen, gefragt. Solche Momente lassen mich den Sinn des Interviews infrage stellen.
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Titelbild: Lea Greub
