Nada Surf ist eine 1992 in den USA gegründete Band bestehend aus den Mitgliedern Matthew Caws (Gesang, Gitarre), Daniel Lorca (Bass, Gesang) und Ira Elliot (Schlagzeug), die immer wieder von Louie Lino (Keyboard) unterstützt wird. Am 13. September ist ihr neuntes Studioalbum Moon Mirror herausgekommen und mit der Singleauskopplung In Front of Me Now kehrte die Band 28 Jahre nach dem Hit Popular zurück in die Billboard Airplay-Charts. Songs wie Inside of Love, Always Love und Blankest Year dürften jedem Musikkenner ein Begriff sein, zumal sie in Film und Fernsehen Verwendung fanden.
Aktuell ist die Alternative-Band live auf Europas Bühnen zu bestaunen und zuvor hat sie im Rahmen ihrer Welttournee in den USA und Kanada Halt gemacht. Hierzulande tritt Nada Surf im Dezember in Köln, Hamburg, Berlin und München auf. Erfreulicherweise haben die Musiker kürzlich weitere Tourstationen für den März 2025 in Aschaffenburg, Leipzig und Hannover bekannt gegeben.
Nada Surf habe ich neben Manfred Mann‘s Earth Band bisher am häufigsten live erlebt und die Atmosphäre ihrer Konzerte elektrisiert mich jedes Mal von Neuem. Lasst euch die aktuelle Tour also nicht entgehen. Gänsehautmomente und ausgiebiges Tanzen sind garantiert. Als ich Blonde on Blonde im Kinofilm Sommersturm zum ersten Mal hörte, habe ich mich sofort in Matts Stimme verliebt, weshalb es mir eine große Ehre war, den Sänger 20 Jahre später interviewen zu dürfen. Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.
Welcher Song auf dem neuen Album liegt dir am meisten am Herzen?
Mein Lieblingssongtext ist der von In Front of Me Now. Er ist zwar nicht tiefgründig, aber größtenteils lustig. Es geht um eine wahre Erfahrung. Open Seas mag ich ebenfalls sehr gerne und das Outro von Floater ist besonders, weil es in andere Sphären vordringt.
Wie wählt ihr aus, welche Songs zu Singleauskopplungen werden?
Wir wählen Singles in Zusammenarbeit mit der Plattenfirma aus. Wir würden allerdings nie etwas machen, was wir nicht wollen. Das war schon früher so. Dennoch interessiert mich immer ihre Meinung. Alle in der Band haben darauf spekuliert, dass The One You Want die Leadsingle von Moon Mirror werden würde, aber ich dachte immer insgeheim, dass es In Front of Me Now sein müsste und dann war die ganze Plattenfirma meiner Meinung.
Euer Song Popular war sehr erfolgreich. Warum habt ihr nicht mehr Songs in dieser Richtung gemacht?
Something I Should Do vom letzten Album Never Not Together ist sehr ähnlich wie Popular. Der Song hat ebenfalls gerappte Parts. Eigentlich ist es kein wirklicher Rap, ich spreche nur schnell. Es war auch nicht meine Idee, dass die Single Popular so wird, wie sie ist. Ich wollte ursprünglich, dass Konzeptmusik bzw. -kunst entsteht. Neben mir hat auch Catherine Talese, eine Freundin, ihren Sprechteil in Popular. Unser damaliger Produzent Bryce Goggin mischte Popular ab und fragte: „Was passiert mit diesem Song?“ Ich sagte: „Ich will ein Durcheinander unserer beider Stimmen. Man soll nichts verstehen vom Gesagten, nur der Refrain soll poppig klingen.“ Er antwortete: „Gib mir zehn Minuten und geh einen Kaffee trinken.“
Als er mir sein Ergebnis vorspielte, sage ich: „Nein, das ist schrecklich. Mach mich leiser, ich will nicht hören, was ich sage.“ Er entgegnete: „Das ist ein Popsong.“
Moon Mirror ist bereits euer zehntes Studioalbum. Hast du ein Lieblingsalbum?
Die meisten Leute sagen, Moon Mirror sei das zehnte Studioalbum und ich habe sie nicht korrigiert, weil niemand Besserwisser mag. Eigentlich ist es aber unser neuntes Studioalbum. Der Titel der Platte The Weight is a Gift ist sehr zutreffend. Ich habe persönlich eine schwere Zeit durchgemacht. Die Platte hat mir sehr geholfen und daher habe ich eine positive Erinnerung daran. Let Go ist der Favorit der meisten Leute, und ich verstehe, warum. Inside of Love befindet sich auf ihr und der Track ist mir der liebste, den ich je geschrieben habe.
Lucky und das neue Album gehören ebenfalls zu meinen Lieblingsalben. Ich habe es wirklich genossen, als Person älter zu werden. Ich bin jetzt so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Es macht also Sinn, dass ich die neue Platte mag, weil sie diesen Zustand widerspiegelt.
Ihr lebt alle an verschiedenen Orten. Was hält euch als Band zusammen?
Mein Zuhause ist jetzt Großbritannien. Daniel lebt auf Ibiza und Ira in Florida. Louie wohnt in Texas. Wir sind in vier verschiedenen Städten, auf zwei verschiedenen Kontinenten. Rein praktisch gesehen ist es eine schreckliche Idee, an verschiedenen Orten zu leben, aber wir sind immer noch zusammen. Ich denke, ein Teil unseres Zusammenseins und unserer Langlebigkeit liegt darin, dass wir uns gegenseitig erlaubt haben, unser eigenes Leben zu leben.
Trefft ihr euch trotzdem häufig persönlich?
Wir treffen uns meist online, aber um Platten zu machen, warten wir, bis ich genug Songs geschrieben habe, und dann kommen wir alle zusammen. Für die neue Platte haben wir uns dreimal zwei Wochen lang auf Ibiza getroffen, um einfach die Songs zusammen zu spielen und zu sehen, wie sie klingen.
Was sind die Vorteile des Lebens im Vereinigten Königreich im Vergleich zu den USA?
Mein Vater ist Engländer, daher habe ich zwei Pässe.
Ich komme aus New York und lebe nun aus familiären Gründen in England. Mein Sohn ist sieben Jahre alt.
Ich weiß Großbritannien hat den Ruf, schreckliches Wetter zu haben, aber hier in Cambridge regnet es wenig. Wir haben sechs Monate Frühling und sechs Monate Herbst. Ich finde es fantastisch.
Das nationale Gesundheitswesen hier befindet sich zwar in einem schlechten Zustand, aber die Idee eines nationalen Gesundheitswesens wie es hier existiert, ist sehr sinnvoll.
Falls das nicht zu persönlich ist, möchte ich gern deine Meinung zum Wahlergebnis in den USA hören.
Immer noch muss ich mich von der Enttäuschung erholen. Ich war sehr überrascht.
Ich denke, es ist ein Symptom für etwas, das überall auf der Welt passiert, nämlich eine Zersplitterung der Realitäten, und dafür, dass jeder seine eigene Realität haben kann, mit seiner eigenen Zeitung und seinem eigenen Podcast und allem, was dazugehört. Die Dinge, die wir gemein haben, werden immer seltener. Interessanterweise greift die neuen Platte Moon Mirror vermutlich genau das auf.
Du hast dir zum Beispiel Bäume angeschaut und ich habe Bäume angeschaut, aber nicht genau dieselben. Wir haben beide Autos gesehen, aber nicht dieselben. Alle acht Milliarden Menschen haben neben der einen Sonne auch nur den einen Mond. Jeder in der Geschichte hat denselben Mond betrachtet. Es gibt Briefe zwischen Soldaten und ihren Partnerinnen zu Hause während eines Krieges, in denen es heißt: „Schatz, letzte Nacht habe ich den Mond angeschaut, und es hat mich getröstet, dass du denselben Mond sehen kannst. Wenn du ihn heute Nacht siehst, denkst du an mich.“
Heute haben wir nicht mehr viele Gemeinsamkeiten. Sie existieren, aber wir vergessen, dass sie existieren. Deshalb gefällt mir die Idee des Mondes als Symbol, da wir ihn tatsächlich physisch gemein haben.
Irgendetwas aus deinem Leben hallt in deinem Kopf wider, während du von einer Bar (, in der du mit Freunden warst oder wo du vergeblich versucht hast, jemanden kennenzulernen, etc.) allein nach Hause gehst, und wenn du dann in den Mond schaust, wird dieser dein Begleiter, dein Zuhörer und vielleicht dein Berater. Und können wir uns darin gegenseitig sehen? Nein, aber ich stelle mir gerne vor, dass wir es können, und manchmal tut der Mythos gut. Wir brauchen ihn.
Wie wichtig ist Euch die Verbindung zu Euren Fans und deren Meinung?
Wir lassen uns nicht zu sehr von der Meinung der Fans beeinflussen, weil wir uns selbst zufriedenstellen müssen mit dem, was wir tun.
Aber ich schätze unsere Fans sehr, und genieße es wirklich, mit ihnen in Kontakt zu treten. Ich bin zwar nicht den ganzen Tag auf Social-Media-Plattformen, aber ich antworte fast jedem, der mir dort schreibt. Nach Konzerten bleibe ich immer da, um Hallo zu allen zu sagen, die dageblieben sind. Der Kontakt ist wichtig. Es ist eine große Ehre und ein Privileg, dass die Leute freiwillig zu einem Konzert kommen. Jeder, der da ist, kommt wahrscheinlich aus eigenem Antrieb. Das kann man bei der Arbeit oder in der Schule nicht sagen. Beim Sport, im Theater, auf Konzerten und im Kino ist es allerdings so. Menschen mit allen möglichen Religionen und unterschiedlichen politischen Ansichten kommen zu unseren Konzerten. Es macht mich glücklich Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Ich mag eure CD-Cover und die Motive eurer Posters und T-Shirts sehr. Gestaltet ihr sie mit?
Unser neues Album ist eigentlich ein Gemälde eines Fotos. Es ist ein Foto, das ich mit meinem iPhone in einem Hotelzimmer in Madrid um zwei Uhr nachts aufgenommen habe. Ich mochte die Idee des Mondscheins auf meinem Bett, daher habe ich es von einem Maler in Chicago malen lassen. Ich bin nicht künstlerisch veranlagt, aber ich bin gern an der Gestaltung beteiligt. Es gibt mir ein gutes Gefühl.
In letzter Zeit haben wir eine Menge Plakate von einem deutschen Designer namens Simon Marchner aus München machen lassen.
Es gab viele Veränderungen in der Musikindustrie während der letzten Jahre. Was sind für dich die positiven Aspekte und was die Nachteile an dieser Entwicklung?
Ich habe für mich entschieden Dinge so hinzunehmen, wie sie sind.
Vor allem ist es gut, dass junge Menschen, die viel Zeit, Energie und Neugier haben, Musik heute so viel schneller aufnehmen können als wir damals.
YouTube ist so etwas wie eine große Universität. Man kann alles lernen, anhören und ansehen. Es ist eine schöne Sache, dieses Fenster zur gesamten Schöpfung zu haben.
Platten verkaufen sich viel weniger. Das ist aber in Ordnung. Ich liebe physische Aufzeichnungen, aber ich denke nicht, dass sie notwendig sind.
Ich glaube, dass die Zeit, in der Musiker im Reichtum und Überfluss lebten, einen Swimmingpool in Form einer Gitarre hatten, eine Ausnahme war. Denn wenn man zwei, drei oder vier Jahrhunderte zurückgeht, war Troubadour auch nur ein Job. Es ist nicht so, dass viele Superstar werden.
Sicher kennst du Asterix und Obelix. (Matt beendet seine Antwort auf Französisch, weil ich erwähnt hatte, dass ich diese Sprache unterrichte. Er hat bereits in jungen Jahren Französisch gelernt.) Der Sänger Troubadix darf nicht teilnehmen beim großen Dorfessen, das stattfindet, wenn die Helden Asterix und Obelix von einem Abenteuer zurückkommen. Alle wollen immer, dass er aufhört zu singen. Er ist kein reicher Mann.
Du schreibst die meisten eurer Songtexte. Was sind deine Inspirationsquellen?
Genau weiß ich es nicht. Ich lese ziemlich viel. Aber ich bin mehr von der Poesie beeinflusst als von der Literatur.
Ich versuche nur, ehrlich zu sein. Manches passiert unterbewusst. Ich nehme eine Gitarre in die Hand, fange an zu spielen und sage einfach Dinge. Ich denke nicht nach, ich sage sie einfach. Aber dann versuche ich, in mich hineinzuhören und zu überlegen, was ich wirklich fühle. Ich überlege, wie ich am einfachsten erklären kann, was ich wirklich fühle. Das war‘s.
Ich schreibe eine Menge, mit der ich nichts anstelle und mache haufenweise Musik, mit der ich nichts anfangen kann.
Manchmal aber entsteht aus zehn Sekunden, die ich aufnehme und versuche, wachsen zu lassen, ein Song. Es ist ein unbewusster, natürlicher Prozess.
Welche Nation hat die lautesten und wildesten Fans?
Brasilien. Als wir das erste Mal in Brasilien spielten, in Sao Paulo, vermutlich 2003 oder 2004, hatten wir keine Ahnung, was uns erwartet. Das Konzert war voll und die Fans waren absolut verrückt. Auch die spanischen Fans sind zum Beispiel sehr begeisterungsfähig. Andere Nationen sind ruhiger.
Wir können uns glücklich schätzen, denn meistens hören die Leute aufmerksam zu bei unseren Konzerten. Ob sie nun tanzen oder nicht, solange sie zuhören, gibt es uns ein gutes Gefühl.
Auf eurer letzten Deutschlandtour ging euer Tourbus kaputt und Konzerte wurden abgesagt. Was ist genau passiert?
Das war vor zwei oder drei Jahren. Es war an einem religiösen Feiertag, glaube ich. Unser Bus ging kaputt und in ganz Deutschland konnte man keinen einzigen Bus mieten und keine Werkstatt war offen. Wir mussten einfach warten. Das hat uns ziemlich verärgert.
Gibt es weitere erinnerungswürdige Tourgeschichten?
In Georgia ist ein Fan, der kein Ticket hatte und kletternd über das Klimaanlagen- oder Heizungssystem ins Konzert gelangen wollte, durch die Decke gefallen, während wir uns backstage unterhielten. Er ist direkt neben uns gelandet und alles war voller Staub und Dreck. Natürlich durfte der Fan fürs Konzert bleiben.
Wie vertreibst du dir die Zeit, wenn du keine Musik machst?
Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie. Meine Familie ist mein Hobby. Darüber hinaus höre ich viel Musik, lese oft und meditiere täglich. Ich mag Fahrräder und alte Schreibmaschinen. Häufig versuche ich zur Ruhe zu kommen und zu entspannen. Ich bin zwar von Natur aus glücklich, aber nicht von Natur aus gelassen.
Gibt es Entscheidungen bezüglich deiner Musikkarriere, die du bereust?
Nicht wirklich. Vielleicht würde manch einer allerdings sagen, du solltest bereuen, keine Show mit Elliot Smith gespielt zu haben, obwohl er dich fragte. Ich kannte den Singersongwriter, der 2003 verstarb, ein bisschen. Für mich ist es einer der besten Musiker, die es je gab. Als er mich einlud mit ihm aufzutreten, war ich der Meinung, nicht gut genug zu sein. Ich dachte, er möchte vielleicht nur nett sein. Manche Leute würden ausflippen, wenn sie hören, dass ich das Angebot abgelehnt habe, denn Elliot Smith ist einfach eine Legende. Dennoch kann ich mit der damaligen Entscheidung gut leben.
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Titelbild: Paloma Bome