Unter ihrem Künstlernamen La Force veröffentlicht die kanadische Musikerin Ariel Engle am 29. September nach fünf Jahren ihr zweites Soloalbum XO Skeleton. Im Interview hat La Force uns tiefe Einblicke in ihre Indiepop-Platte mit R&B Einflüssen gewährt. Themen wie Leben und Tod sowie auch die Liebe sind Dreh- und Angelpunkt der neun Songs. Bekannt wurde die begnadete Sängerin neben vielen anderen Projekten vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Broken Social Scene und Beiträge auf dem Album Hug Of Thunder (2017) und der Doppel-EP Let’s Try The After (2019). Gerade tourt La Force durch Europa, größtenteils als Support-Act von Landsmann Patrick Watson. Bedauerlicherweise ist auf dieser Tour kein Halt in Deutschland geplant.
Seit ich La Force 2018 mit Broken Social Scene in Birmingham zum ersten Mal auf der Bühne gesehen habe, verfolge ich ihr musikalisches Schaffen mit großem Interesse. Ich habe sie vor Corona noch zwei weitere Male mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum live erlebt. Bei ihrem Auftritt in Luzern bat ich die publikumsnahe Künstlerin den Song Ready To Run zu spielen, da ich ihn in Paris vermisst hatte. Meine Bitte wurde nicht erfüllt.
Zu Beginn unseres Zoom-Interviews hat Ariel sich an diese Bitte sofort erinnert und mir erklärt, dass sie das Lied nicht besonders mag und es daher auf Konzerten nicht spielt. Das folgende Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.
Welche Songs auf XO Skeleton liegen dir besonders am Herzen?
Ich habe keinen Lieblingssong. Einen Favoriten zu haben ist eigentlich nicht fair, auch wenn ich gerade gesagt habe, dass ich Ready to Run nicht ganz so gerne mag. Es ist wie mit Kindern, du solltest sie alle lieben.
Hinsichtlich der Lyrics hat es mir der Song October aber sehr angetan. In den Gegenden, wo es Jahreszeiten gibt, hat der Oktober eine Art Melancholie in sich. Das kann etwas Schönes sein. Der Oktober ist ein guter Monat zum Nachdenken. Es wird kälter und ruhiger. In diesem Monat bereitet man sich auf den Winter vor, man geht in sich und blickt in sein Inneres. Mein Album beschäftigt sich viel mit dem Sterben, so auch der Song October.
Was waren weitere Inspirationsquellen für die Lyrics auf XO Skeleton?
Auf dem Album geht es viel um menschliche Dynamiken. Genauer um die Beziehung zu sich selbst, darum, wie man Menschen und Gespräche in Erinnerung behält und auch darum, wie man Verluste körperlich und seelisch verarbeitet. Ich bin an der Beziehung von Körper und Geist sehr interessiert und an der Idee, wie Emotionen und Erinnerungen in einem Körper bewahrt werden.
Welche Bedeutung steckt hinter dem Albumtitel XO Skeleton?
Ich mag es nicht, den Menschen zu viel vorzuschreiben, denn sie sollten jede Art von Kunst für sich selbst interpretieren. Mir gefällt es, wenn verschiedene Interpretationen entstehen. XO schreibt man in einer Nachricht oder einem Brief zur Verabschiedung. Es steht für Küsse und Umarmungen.
Schalentiere wie Krabben tragen ihr Skelett außen und das Innere ist glibberig. Sie haben ein Außenskelett. Meine Interpretation von XO Skeleton (Exoskelett) ist, dass man eine Art Schutz- und Panzerhülle trägt, die sich aus der Liebe zu anderen Menschen zusammensetzt. Das Skelett sitzt unter dieser Hülle. Wir haben ein Leben, das von der Geburt und vom Tod begrenzt wird, zumindest soweit ich weiß. Dazwischen befindet sich die glibberige Materie unseres Lebens. In gewisser Weise sehe ich meine Platte also als eine Untersuchung dieser Materie umgeben von Geburt und Tod, aber auch von der Liebe. Das Exoskelett ist eine Schutzhülle, aber auch die Erinnerung an unsere Sterblichkeit.
Einer deiner neuen Songs heißt Ouroboros und einen anderen auf deinem Debütalbum hast du Upside Down Wolf genannt. Welche Rolle spielen Tiere in deinem Leben?
Ich denke, wir sind alle Tiere und wie die meisten Menschen liebe ich sie.
Upside Down Wolf heißt nur so, weil ich eine Gitarre habe, die aus einer Zigarrenkiste gemacht wurde, auf der ein Wolf abgebildet ist. Die Gitarre habe ich verkehrt herumgespielt im Song.
Ouroboros ist ein altes Symbol für eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz isst. Es ist die Schlange der Ewigkeit. Im Kontext meines Songs geht es um eine Art immer wiederkehrenden Konflikt in einer Beziehung. Manchmal fragst du dich, ob einige dieser Konflikte „geerbte“ Konflikte sind oder die Kämpfe anderer Leute, aber du sie kämpfen musst.
Bist du Vegetarierin?
Seit dem 12. Lebensjahr bin ich Pescetarierin. Ich bin keine Tierrechtaktivistin, aber ich denke, wir sind in Puncto Tierwohl blind.
Montreal, dein Wohnort ist bilingual. Hast du darüber nachgedacht, französische Song für XO Skelton zu produzieren?
Ich habe es versucht, aber es hat nicht geklappt. Für mich ist es schwierig, auf Französisch zu schreiben. Ich kann flüssig Französisch sprechen, denke und träume aber nicht auf Französisch. Meine neunjährige Tochter geht auf eine französischsprachige Schule und zuhause sprechen wir Englisch.
Was kommt dir in den Sinn, wenn du dein Debütalbum und XO Skeleton vergleichen sollst?
Ich fühle mich verbundener mit meinem neuen Album und habe eine engere Beziehung zu den Songs, denn ich habe XO Skeleton koproduziert mit meinem Musikerfreund Warren Spicer. Wegen des Coronalockdowns hat sich alles gezogen, wir haben XO Skeleton ohne Eile aufgenommen. Wir waren in keinem Studio, sondern in meinem Keller.
Die Songs auf dem Album sind eher ruhig und langsam. War das so beabsichtigt?
Das hat sich so ergeben. Manche Lieder waren ursprünglich schneller geplant. Ich arbeite aber bereits an neuen Songs. Es wird auf jeden Fall auch Uptempo-Songs geben.
Wer begleitet dich bei der Europatour auf der Bühne?
Ich habe nur zwei Headliner Shows in Europa, nämlich in Cork und London. Bei den anderen Konzerten bin ich Patrick Watsons Support. Falls das Album gut angenommen wird, möchte ich noch einmal nach Europa kommen. Es muss aber finanziell aufgehen. Ich mag es, mit einer Band zu spielen. Wir sind wie in 2019 als Trio unterwegs. Dieses Mal unterstützen mich meine Freunde Thom Gill und Liam O’Neil. Thom spielt Bass und Keyboard oder wie ich Gitarre und Liam übernimmt das Schlagzeug.
Kannst du das Gefühl beschreiben, auf der Bühne zu stehen? Ist es manchmal wie eine Droge für dich?
Das hängt ganz von der Show ab; ob ich nur ein Konzert spiele oder eine Konzertreihe. Es fühlt sich immer etwas gefährlich an, weil ich nie weiß, wie es sich entwickelt. An manchen Abenden, wenn ich nicht mehr so viel nachdenken muss, weil ich die Songs oft genug spielte, habe ich dieses Rauschgefühl.
Ich performe in verschiedenen Kontexten. Wenn ich mit einer Gruppe auf der Bühne stehe, ist es einfacher und weniger stressig für mich. Mit Patrick Watson arbeite ich seit zehn Jahren zusammen. Ich habe mit meinem Mann Andrew Whiteman neulich in Ontario wieder eine Show mit Broken Social Scene gehabt. In einem Trio hast du viel mehr Verantwortung als in einer Band wie Broken Social Scene. Es ist auch wichtig, wer im Raum ist, wenn du auf der Bühne bist.
Planst du neue Musik mit Broken Social Scene zu veröffentlichen?
Es sind so viele Leute bei Broken Social Scene beteiligt. Es werden ständig neue Texte geschrieben und wir werden sehen, was daraus entsteht. Bei ihrer Herbsttour kann ich nicht mitwirken, weil ich selber in Europe toure. Aber ich werde weiter mit ihnen auftreten. Wer einmal in der BSS Familie war, kommt und geht. Jeder ist willkommen und gehört für immer dazu.
Was war dein magischster Moment auf der Bühne?
Mit meinen Ehemann habe ich auch eine recht unbekannte Band namens AroarA. Wir hatten ein Konzert in einer Kirche in New York. Das war eine magische Show für mich. Nicht die großen Shows sind die besonderen. Die Musik muss einfach zum Raum, Tag und den Menschen passen. Das Zusammenspiel und der Vibe waren damals perfekt.
Hattest du jemals ein verrücktes Erlebnis auf oder hinter der Bühne?
Nachdem mein Vater starb, habe ich ihn manchmal im Publikum gesehen. Aber ich glaube nicht an das Übernatürliche. Leben und Tod ist genug Magie für mich.
Was sind deine Stärken?
Ich bin gut darin, anderen zu zeigen, dass ich sie liebe. Ich kümmere mich um meine Familie und stelle sicher, dass sie immer mit Essen versorgt ist. Ich bereite zum Beispiel häufig Joghurtbowls mit Beeren vor. Das ist eine Art Liebesbeweis, meine Sprache der Liebe.
Hast du Schwächen oder schlechte Angewohnheiten?
Ich bin manchmal etwas launisch oder reagiere über. Gern wäre ich relaxter. Außerdem schlafe ich schlecht. Nach stimulierenden Sinneseindrücken, beispielsweise nach Konzerten bin ich hell wach, selbst wenn ich nicht auf der Bühne stand.
Welche Ratschlage würdest du unerfahrenen Musikern in Bezug auf das Musikbusiness geben?
Ich gebe nicht gerne Tipps. Das ist nicht mein Ding. Ich mache Musik und hoffe, sie wird gemocht. Allerdings mag ich es nicht, Gott zu spielen.
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Titelbild: Norman Wong