Review // Feist – Multitudes

Feist
Feist - Foto: Mary Rozzi

Wer die Singersongwriterin Feist schon einmal live gesehen hat, dem bleibt ihre unbeschreibliche Stimme im Kopf. Wie angekündigt, waren wir zu Gast bei einem ihrer zehn intimen Auftritte zwischen dem 4. und 8. August auf dem Kampnagel Gelände in Hamburg. Zwischen der Hansestadt und der Kanadierin, die sich in den frühen 2000ern ihre vier Wände mit Chilly Gonzalez und Peaches in Berlin teilte, scheint eine besondere Verbindung zu bestehen. Schon 2019 gab die zweifache Juno Awards Gewinnerin nur ein einziges Konzert in Deutschland, nämlich am Eröffnungstag des Reeperbahnfestivals. Diesmal spielte Feist keine Songauswahl ihrer vier Alben mit Hits wie I Feel It All oder Mushaboom, sondern ließ das Publikum des Kampnagel Sommerfestivals im wahrsten Sinne des Wortes an der Weltpremiere von Multitudes, elf unveröffentlichten, zuvor nie dargebotenen Songs teilhaben.

Kulisse und Bühne

Am Sonntag um kurz vor 18 Uhr nehmen wir Platz auf einem der 200 Papphocker, die stuhlkreisförmig eine eher kleine grüne Rundbühne umrahmen. Bereits beim Betreten sind Bürogeräte wie Fax, Drucker und Schredder im vollen Gange und verschaffen sich aus einem Eck des Saals heraus Gehör. Im überraschend legeren Outfit mit Jeans und schwarzem Top taucht kurze Zeit später Feist auf und ordnet neben den Gerätschaften zunächst Akten, bevor sie die Bühne betritt und ihren Mundschutz resolut von sich wirft. Wir erinnern uns sofort zurück an die pandemiebedingte Zeit im Homeoffice. Dem Publikum gleichgestellt sitzt Feist die meiste Zeit der Konzertperformance. Selbst auf dem entfernsteten Hocker ist man der Künstlerin, die sich gegen Mitte des Konzertes zur anderen Publikumshälfte umdreht, ungewöhnlich nahe.

Performance

Die ersten beiden Songs begleitet die Künstlerin auf der Akustikgitarre. Durch ihre anmutige Bühnenpräsenz zieht Feist das Publikum sofort in ihren Bann. Ihre atemberaubende Stimme durchdringt magisch den Saal. Ab dem dritten Song wird sie musikalisch unterstützt. Zunächst nur von Amir Yaghmai, der ebenfalls Gitarre spielt. Ab dem vierten Lied schließt sich Todd Dahlhoff am Synthesizer an. Amir Yaghmai spielt bei den weiteren Stücken vermehrt ein Streichinstrument. Es wird viel mit Loops gearbeitet, um Feists Gesang, der einige Male beachtliche Höhen erreicht, zu multiplizieren.

Showdown

Nach den letzten Tönen des zehnten Songs folgt der große Moment der Show. Feist verlässt abrupt die Bühne, um an Seilen einen schwarzen riesigen Vorhang aufziehen. Dahinter verbirgt sich die eigentliche Konzerttribüne des Saales mit leeren Zuschauerrängen. Die Tribüne symbolisiert die lange Durststrecke der Künstler ohne Auftrittsmöglichkeiten und ohne Publikum. Feist kommt allein zurück auf die Bühne und spielt im Stehen eine Zugabe auf der Gitarre. Es folgen Standing Ovations. Feist hat uns auch dieses Mal mit ihrer magisch-schönen Stimme verzaubert, auch wenn ihre Rolle passiver war als so mancher nach der Vorankündigung der Konzertperformance Multitudes wohl angenommen hatte.

Projektionen des Publikums

Multitudes zielt darauf ab, die Rollen zwischen den Zuschauern und der Künstlerin immer wieder aufzulösen. Es sind vor allem die mit dem renommierten Bühnenbildner Rob Sinclair konzipierten Projektionen, die das Publikum ab dem vierten Lied zu einem festen Bestandteil der Performance machen. Dort, wo vorher nur zwei riesige schwarze Vorhänge hingen, sind plötzlich die Zuschauer zu sehen. Diese Projektion mittels zweier Handkameras schafft für einen Moment die Illusion, wie früher, an einem viel größeren Feistkonzert teilzunehmen. Anschließend beobachten wir die Schuhe und Taschen von Zuschauern auf der Projektionsfläche. Die projizierten Inhalte sind nicht willkürlich, sie wurden gekonnt auf die einzelnen Songs abgestimmt. So wird später der Inhalt einer Handtasche langsam vor den Augen des Publikums enthüllt. Schlüssel, Postkarte, Familienfoto und Streifen aus dem Fotoautomat fügen sich perfekt in Stimmung des dargebotenen Songs ein. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Tasche niemandem im Publikum gehört, obwohl es den Anschein erweckt.

Weitere Projektionen

Während eines anderen Songs steht das Blättern in einem Notizbuch im Kamerafokus. Uns springen immer wieder die gesungenen Zeilen des aktuellen Liedes ins Auge. Im hitverdächtigen Stück Another Person’s Wealth fügt sich der Drucker vom Beginn der Show musikalisch ein. Sein Sound bildet das Intro. Zudem wird das Drucken des Songtitels in Dauerschleife für das Publikum visualisiert. Nicht weniger abwechslungsreich sind auch die Perspektiven, aus denen Feist gefilmt wird. Gegen Ende steigt der Kameramann auf eine Leiter und bildet sie aus der Vogelperspektive ab. Immer wieder gibt es auch Projektionen, bei denen Feists Antlitz bei ständig kleiner werdenden Abbildungen in die Unendlichkeit verschwindet. Außerdem wird wiederholt ihr Spiegelbild projiziert. Abschließend bleibt anzumerken, dass wir durch die Vielzahl der visuellen Eindrücke manchmal ein wenig vom Zuhören abgelenkt waren. Wir waren dennoch von der Konzeption der Konzertperformance, dem Ensemble aus Musik und Bildern, geflasht.

Ausblick

Bestimmt merkt ihr es dem Review an – Multitudes war definitiv mehr als nur ein Konzert. Getreu dem Festivalmotto Togetherness hat Feist die Bühne auf ihre Art zurückerobert. Nun fragen wir uns natürlich, wann das dazugehörige Album erscheint. Im Oktober wird die Indiekünstlerin die Konzertperformance Multitudes noch einmal in Toronto und Ottawa darbieten. Wir müssen uns also vermutlich mindestens weitere zwei Monate gedulden. Die neuen Songs vereinen wie auf den Vorgängeralben Elemente des Pops, Rocks und der Folkmusik. Einige Lieder haben einen nachdenklichen, teils sogar verletzlichen Tenor, der uns an die Platte Pleasure erinnert. Es sind bereits mögliche Songtitel wie Afterparty, Forever, Lightening und Become The Earth durchgesickert. Inhaltlich geht es unter anderem um Themen wie Kommunikation, Empathie, Tod (Feists Vater verstarb kürzlich) oder auch um den Widerwillen zu reifen. Die Pandemie scheint ebenfalls ihre Spuren auf Feists Multitudes hinterlassen zu haben.

Empfehlungen

Wenn ihr jetzt schon mehr Musik von Feist entdecken wollt, haben wir gute Nachrichten. Sie hat auf dem neuen Kings of Convenience Album mitgewirkt und auch das alte Material der Indierockband Broken Social Scene, bei der sie einst Frontfrau war, birgt so manchen Schatz.

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Titelfoto: Mary Rozzi

Geschrieben von:
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